Eine Geschichtsstunde

Gedenktafel „den getöteten Seelen“ in Mogilev; Foto: T. Linde
Diese Tafel an einer Gedenkstätte hat die Teilnehmer der letzten Fahrt lange lesen und nachdenken lassen. Damit erhalten die Transporte noch eine weitere, historische Dimension.

Hier der vollständige Text:

„Den getöteten Seelen, Patienten des Republikanischen Psychiatrischen Krankenhauses in Mogilew, zum Gedenken, sie wurden in den Jahren 1941 und 1942 von den deutschen Besatzern durch Gas und Gewehrkugeln ermordet“

„Das nebenstehende Mahnmal erinnert an etwa 1200 Menschen, Männer, Frauen und Kinder – die genaue Zahl ist bis heute nicht bekannt, die zwischen Herbst 1941 und Januar 1942 Opfer der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik im besetzten Weißrussland geworden sind.


Es waren psychisch kranke Menschen, sie befanden sich in Obhut und Behandlung des Republikanischen Psychiatrischen Krankenhauses, sie waren krank, hilfsbedürftig und wehrlos. Der jüdische Chefarzt des Krankenhauses Meer Moisejewitsch Klipzan hatte sich bei der Besetzung der Stadt durch deutsche Truppen im Juli 1941 vor seine Patientinnen und Patienten gestellt und war nicht geflohen, jedoch wurde er bald verhaftet  und später ebenfalls ermordet. Das Krankenhaus wurde – wie viele psychiatrische in den besetzten Gebieten der Sowjetunion – von der Lebensmittelversorgung abgeschnitten, viele Menschen mussten verhungern. Doch es sollte noch schlimmer kommen. Die psychisch kranken Menschen – als „unheilbar Geisteskranke“ angesehen, galten den deutschen Besatzern als „lebensunwertes Leben“. Ihre Vernichtung wurde in Deutschland als Erlösung, als „Gnadentod“, als „Euthanasie“ bezeichnet. Erlöst werden sollten die Kranken von ihrem Leiden, ebenso wie die Gesellschaft von der Verpflichtung, sie zu pflegen und für ihr Wohl zu sorgen. Schon 1920 hatten ein deutscher Jurist und ein deutschen Psychiater für die „Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens“ plädiert und damit die „geistig Toten“ und die „Ballastexistenzen“ in den Heil- und Pflegeanstalten gemeint. Nachdem der „Gnadentod“ mittels Giftgas für die psychisch kranken Menschen in den Heil- und Pflegeanstalten des Deutschen Reiches bereits seit dem Beginn des 2. Weltkrieges am 1. September 1939 praktiziert worden war, drohte auch den Menschen in den psychiatrischen Krankenhäusern der besetzen Gebiete Unheil. Wie schon im besetzten Polen wurden die psychisch Kranken auch auf dem Gebiet der Sowjetunion Opfer der Einsatzgruppen und Einsatzkommandos des SD und der Sicherheitspolizei. Die Einsatzgruppen waren verantwortlich für die Mordaktionen gegen die jüdische Bevölkerung, gegen kommunistische Funktionäre, Partisanen, Sinti und Roma, so genannte „Asoziale“ und eben auch gegen Menschen in den Psychiatrischen Krankenhäusern. Hinzu kam das Interesse der Wehrmachtdienststellen, die ohnehin als „lebensunwert“ angesehenen Menschen nicht etwa auch noch ernähren zu müssen und die Krankenhausbauten und das Pflegepersonal für die eigenen verwundeten Soldaten zu nutzen. Der Reichsführer SS Heinrich Himmler persönlich beauftragte den Leiter der in Weißrussland operierenden Einsatzgruppe B, Arthur Nebe, nach scheinbar humanen Tötungsmethoden für die „Geisteskranken“ zu suchen: So wurden im September 1941 in Minsk Sprengungen und in Mogilev die Technik der Vergasung erprobt.

Das Mahnmal bezeichnet vor dem authentischen Gebäude der tragischen Ereignisse den Ort der Gaskammer, in welche Abgase aus Automotoren eingeleitet worden sind. Etwa 650 – 850 Patienten und Patientinnen des Psychiatrischen Krankenhauses und der dazugehörigen landwirtschaftlichen Kolonie sind an einem Herbsttag Ende September/Anfang Oktober 1941 durch Angehörige des Einsatzkommandos 8, das in Mogilev stationiert war, vergast worden. Die Leichen mussten von Bewohnern des jüdischen Gettos beseitigt werden. Sie wurden in Nowo Paschkowo oder in Polykowitschi in Panzergräben verscharrt. Der von den Deutschen eingesetzte Chefarzt des Krankenhauses, Alexander N. Stepanow, hatte einige Zeit vor der Aktion mit den arbeitsunfähigen chronisch Kranken, den arbeitsfähigen chronisch Kranken und Frischerkrankten erstellen müssen uns sah keine Chance, seine Patienten und Patientinnen zu retten. Nach der Vergasung verkündete der Dolmetscher der Einsatzgruppe 8, Adolf Prieb, dass „man solche Vernichtung auch in Deutschland praktiziere, da die vernichteten Kranken niemandem von Nutzen sind, weder sich selbst, noch anderen, und diese Kategorie Menschen nur zu vernichten ist.“ Den verbliebenen Patientinnen und Patienten blieb jedoch, soweit sie nicht durch Entlassung gerettet werden konnten, nur eine kurze Frist des Überlebens. Sie wurden spätestens im Januar 1942 durch das Einsatzkommando 8 erschossen oder mit Handgranaten vernichtet. Ihre Gräber liegen in Paschkowo. Das Krankenhaus wurde nunmehr als Wehrmachtlazarett genutzt. Nur wenige Namen der Opfer sind bisher bekannt, ein Name für die Namenlosen sei genannt: Korsa Foeder Wassiljewitsch, geb. 1898, aus der Stadt Bychow, im Mogiljower Gebiet gebürtig. Möge dieser Stein den getöteten Seelen ein Ort des Gedenkens und ein Ort der Mahnung sein. „Wer seine Vergangenheit vergisst, ist zur Wiederholung verdammt.“ Das Mahnmal geht auf eine deutsch-belorussische Bürgerinitiative zurück und beruht auf der Partnerschaft zwischen dem Psychiatrischen Gebietskrankenhaus Mogilew und der Psychiatrischen Universitätsklinik in Heidelberg, gefördert durch den Arbeitskreis in Rheinstetten. Es wurde errichtet mit Unterstützung des Gebietsexekutivkomitees in Mogilev und unter Mitwirkung der Leitung und der Mitarbeiter/innen des Psychiatrischen Gebietskrankenhauses Mogilev. Es wurde ermöglicht durch viele private Spenden und finanzielle Zuwendungen von der Deutschen Bundesärztekammer, der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde sowie der Deutsch-Belorussischen Gesellschaft. Das Mahnmal wurde gestaltet von Alexandr Minjkow aus Mogilev und am 2. Juli 2009 von den Stellvertretenden Vorsitzenden des Gebietsexekutivkomitees, V. Malaschko, und dem Konsul der Bundesrepublik Deutschland, Peter Eck, feierlich enthüllt.

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